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Malstrom »Klaus-Dieter« [20221110]
Florian Walter – Saxophone
Axel Zajac – Guitar
Jo Beyer – Drums
Es gibt Musik, die alles vertraut macht, weil sie einfach das variiert, was man schon kennt. Dann fühlst du dich gut, nur weil dich nichts Ungewohntes, keine neuen Ideen herausfordert. Nichts ist zu hören, was sich neu und fremd anfühlt, und manchmal döst man bequem – sogar vollkommen zufrieden – ab.
Dann gibt es Musik, die alles auseinander sprengt. MALSTROM gehört in diese zweite Kategorie – und sprengt alles aus engen Schubladen. Seit fast zehn Jahren pflegt das Trio eine heiter-dekonstruktive Haltung gegenüber verschiedenen Musiktraditionen, vor allem gegenüber experimentellem Jazz. Die wahnsinnige Begeisterung und Energie, die unheimliche Signaldichte, die aus den Lautsprechern zum Publikum strömt, setzt alles frei, was im Jazz (auch das Experimentelle) ausgetrocknet ist.
MALSTROM hat nun vier Alben kompromisslos direkt wirkender Avantgarde-Musik geschaffen – ohne theoretischen Überbau oder Metaebene – und das Ergebnis ist ungemein unterhaltsam. beginnend mit enormer, spielerischer Präzision, sowohl in den komponierten als auch in den improvisierten Passagen, eröffnen sie neue Möglichkeiten des Jazz. Für das neue Album Klaus-Dieter wurden zehn Stücke aufgenommen. Diese wechseln ständig die Richtung, Teile werden vereinzelt und zerlegt, dann schlagartig zusammengebracht, um vorwärts zu rasen. Improvisation und Komposition verweben sich.
Allzu leicht würde man diese vielfältige Mischung als Genre-Crossover bezeichnen – Jazz, komplexer Metal, Rock, Post-Rock. Moderatoren schreiben auf ihren MALSTROM-Konzertplakaten nämlich gerne „Jazz Metal“ oder einen Satz mit „progressiv“ oder ähnlichem. Das ist nicht verkehrt, denn die Band um Klaus-Dieter arbeitet in einer wenn auch ungewöhnlichen Trio-Besetzung (Schlagzeug, Gitarre und Saxophon) weiter an einer Form des experimentellen Jazz, der großen Drive hat und die Komplexität des verschlungenen Progressive Rock von allen Höhen befreit -Schwere. Und diese Elektrizität enthält auch überraschend elegische Passagen.
„Somnambulism“ zum Beispiel bricht nach zweieinhalb Minuten aus dem Gewundenen in eine fantastische, euphorische Saxophonmelodie aus. Einer der vielen unerwarteten und schönen Momente auf diesem Album. Die Diagnose „Genre-Mix“ ist dann irreführend, denn beim Genre-Crossover bleiben die einzelnen Teile voneinander getrennt. MALSTROM hingegen erschafft einen musikalischen Fluss, der alles mitreißt, was an seinen Ufern steht und steht, und sich dann einverleibt. In diesem Sinne ist die Musik eine fröhliche Mischung, ähnlich den Jazzformen der New Yorker Downtown-Szene. Immerhin ist der Saxophonist Florian Walter ein bisschen wie John Zorn, der Gitarrist Axel Zajac nicht unähnlich Marc Ribot und der Schlagzeuger Jo Beyer nicht allzu weit von Jim Black entfernt. Aus all dem etwas ganz Neues
entsteht.
Nicht zuletzt die Verspieltheit. Wer Kompositionsstücke wie „Pumps With Lumps“ oder „Klaus-Dieter Swims“ kreiert und nicht über latente Absurditäten steht (auf was surfen die Schlümpfe durch den Malstrom – genau, auf dem „Smurfboard“) und so wird es klar, dass der heilige Ernst hier eine Pause machen muss. Die Herangehensweise von MALSTROM an ihre Musik ist grundsätzlich sehr ungebunden. Nicht, dass es im Jazz an Ernsthaftigkeit mangeln sollte. Stattdessen regieren Heiterkeit und Ambivalenz: Die Musiktradition, die MALSTROM hier entwickelt, lässt sich als schönes altes Gesicht einordnen, das in rascher Folge verehrt, gestreichelt und geboxt wird.
Apropos Klaus-Dieter. Der Track „Klaus-Dieter is disturbed“ legt nahe, sich die Titelhelden des Albums als eher konservativ gesinnte Jazzhörer vorzustellen. Diese Musik kann, wenn es ihm wirklich zu schaffen macht, im besten Sinne wirklich verstören. „Klaus-Dieter Swims“ wiederum suggeriert, dass tatsächlich Mut gefunden wurde und man sich in den Strudel stürzt. Klaus-Dieter können wir uns als glücklichen Menschen vorstellen.